Geschrieben am 30.07.2024 von:
(KG, Beschl. v. 01.03.2024 – Verg 11/22)
Es kommt in der Vergabepraxis immer wieder zu der Situation, dass Bestandsauftragnehmer durch ihre bisherige Tätigkeit wirtschaftliche Vorteile gegenüber anderen Bietern haben. Auftraggeber müssen in dieser Situation streng danach unterscheiden, ob Wettbewerbsvorteile aus der unterschiedlichen Marktstellung der Unternehmen, oder aus den vom Auftraggeber festgelegten Leistungsanforderungen resultieren. Im letztgenannten Fall müssen die Auftraggeber die Wettbewerbsvorteile ausgleichen. Das KG Berlin hat sich in einer aktuellen Entscheidung umfassend mit dieser Thematik befasst.
Gegenstand des Vergabeverfahrens waren Aufträge zur Lieferung, Instandhaltung und Bereitstellung von Schienenfahrzeugen und deren Betrieb für eine S-Bahn. Die ausgeschriebenen Leistungen wurden seit 1995 von einem Bestandsauftragnehmer erbracht. Für die Instandhaltung nutzte der Bestandsauftragnehmer eigene Werkstätten auf eigenen, an das S-Bahn-Netz angeschlossenen Grundstücken. Die Werkstattgrundstücke wurden den weiteren potenziellen Auftragnehmern in dem Vergabeverfahren optional zur Verfügung gestellt. Die entsprechenden Gleisanschlüsse waren von den Bietern in ihren Angeboten anzubieten, soweit sie diese Grundstücke nutzen wollten. Die dafür angesetzten Preise flossen in den Wertungspreis ein. Der Bestandsauftragnehmer konnte hingegen auf seine bestehenden an die S-Bahn angeschlossenen Werkstattgrundstücke zurückgreifen, wodurch er gegenüber den anderen Bietern einen zweistelligen Millionenbetrag einsparte. Ein Bieter griff das Verfahren unter anderem mit der Begründung an, dass der Bestandsauftragnehmer in dem Verfahren einen vergaberechtlich unzulässigen Wettbewerbsvorteil habe und der Auftraggeber diesen ausgleichen müsse.
Mit Erfolg!
Nach Ansicht des KG Berlin liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Dies gelte, soweit die Gleisanschlüsse, für die den Auftragnehmern optional zur Verfügung gestellten Werkstattgrundstücke von den Bietern in ihren Angeboten anzubieten sind und die dafür angesetzten Preise in den Wertungspreis einfließen. Dies führe zu einer unvereinbaren Benachteiligung gegenüber dem Bestandsunternehmen als möglichem Bieter. Denn anders als andere Bieter, sei es dem Bestandsunternehmen erlaubt, auf seine bestehenden Werkstattgrundstücke zuzugreifen, so dass ihm insgesamt ein zweistelliger Millionenbetrag an Kosten nicht entstehe. Diese Kosten fließen demgegenüber bei Bietern, die auf die von dem Auftraggeber angebotenen Grundstücke für die Errichtung von Werkstätten zugreifen wollen, in den Wertungspreis ein. Dies benachteilige die Bieter gegenüber dem Bestandsunternehmen als möglichem Konkurrenzunternehmen.
Grundsätzlich sind Auftraggeber zwar nicht verpflichtet, identische Ausgangsbedingungen für die Bieter zu schaffen. Eine verschiedene Ausgangssituation der Bieter muss im Vergabeverfahren nicht künstlich ausgeglichen werden, um jegliche wirtschaftliche Ausnutzung eines möglicherweise bestehenden Marktvorteils zu verhindern (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 05.12.2008 – 1 Verg 9/08). Der in diesem Beitrag diskutierte und von dem KG entschiedene Fall lag hingegen anders. Hier ging es gerade nicht um die im freien Wettbewerb errungene Marktstellung des Bestandsauftragnehmers. Sein Wettbewerbsvorteil resultierte vielmehr aus Umständen, die ihm als Bestandsunternehmen aufgrund des konkret bestehenden geringeren Kostenaufwandes für das Angebot der nachgefragten Leistung ein günstigeres Angebot ermöglichten.